Portugal – wie Touristen es nie sehen

21 Kinder von einer einzigen Mama - und dann noch eines aufgenommen.

20 Kinder, 20 Kinder…..von einer einzigen Mama! Und dann kam vor drei Jahren noch das einundzwanzigste. Im Nachbarbett der Entbindungs-Station im Krankenhaus der portugiesischen Atlantik-Insel Madeira eine junge Frau. Vielleicht 23, 24 Jahre alt. Auch sie hochschwanger. Sie weint fast ununterbrochen. Weder „Super-Mama“ mit den 20 Kindern konnte sie beruhigen, noch die Schwestern. Warum sie weint? Sie sagte es keinem.

 

Ohne Komplikationen kommt ihr Baby zur Welt. Ein kleiner Junge, schwarze Wuschelhaare, große braune Augen. „Wie soll er heißen?“…fragte der Arzt. „Weiß nicht“…..die Antwort. Zwei Stunden später war die junge Frauaus dem Krankenhaus spurlos verschwunden. Ihr Baby ohne Namen ließ sie zurück .Auf Nimmer wiedersehen. Nie wieder aufgetaucht. Bei der Aufnahme des Krankenhauses der Insel-Hauptstadt Funchal hatte die junge Frau einen falschen Namen und eine falsche Adresse angegeben.

 

Inzwischen war Baby Nr. 20 gesund und laut schreiend zur Welt gekommen. „Super-Mama“ entschied noch im Krankenhaus-Bett: „Wo 20 Kindergroß werden – da ist auch noch Platz für ein zweiundzwanzigstes.“ Sagte es, sprach mit ihrem Mann, und „Nummer 21“, das von der Mutter verlassene Kind, wurde in die große Familie aufgenommen, adoptiert – so, als sei das kleine Würmchen ein eigenes Baby.

 

Pater Marcos Pinto (35) erzählt mir diese fast unglaubliche – aber wahre – Geschichte. Es ist die schönste „Story“, die der junge Priester aus seiner noch kurzen Seelsorger-Tätigkeit berichten kann. Denn er taufte „Nr.20“ und auch die „Nr. 21“.

 

Eigentlich wollte Pater Pinto Pilot werden. Dafür arbeitete Papa Clemente als Busfahrer, wollte für den jüngsten Sohn (von insgesamt 4Kindern) das Studiengeld zusammensparen. Marcos Pinto war 18 – und da beichtete ihm eine Klassenkameradin: „Ich werde von einem anderen Jungen schwanger. Niemand soll von der Schande wissen. Ich lasse das Kind abtreiben.“

 

„Nein“..….sagte Marcos Pinto…… „Nein. Das machst Du nicht. Ich werde Dir helfen, spreche mit meinen und Deinen Eltern“. Ein 18 jähriger Junge…………….

 

Pater Marcos Pinto heute: „Ich spürte plötzlich eine ganz, ganz starke Kraft in mir und wußte, daß ich helfen mußte und konnte.“ Der junge Mann schaffte es tatsächlich. Keine Abtreibung, versöhnte Eltern, ein gesundes Baby – auf das die junge Mutter stolz ist.

 

Aus der Traum vom Piloten. Pater Marcos Pinto: „Von diesem Moment an war mir klar, daß ich Priester werden möchte und dazu berufen bin.Vom fliegenden Personal der portugiesischen Fluggesellschaft TAP zum Bodenpersonal Gottes. So war es.“

 

Durch Zufall treffe ich den jungen Pater auf Madeira, wollte mich nach längerer Krankheit ein wenig erholen und eine Reportage über den drohenden Zusammenbruch der portugiesischen Wirtschaft schreiben – der nach dem Griechenland-Debakel leider mit Sicherheit folgt. Bei Pater Marcos Pinto hätte ich keinen besseren Anschauungs-Unterricht für meine negative Einschätzung der wirtschaftlichen Lage des Landes bekommen können. Portugal ist wieder zurück auf dem Weg zum Armenhaus Europas.

 

Großzügige EU-Gelder der ersten Stunde sind verpulvert. Außer Tourismus? Was hat das kleine Portugal wirtschaftlich schon „im Rücken“? Die einst blühende Textil- und Schuh-Produktion ist in Länder abgewandert, in denen inzwischen billiger produziert wird.

 

Allein in seiner kleinen Kirchengemeinde „Nazare“ im Armenviertel von Funchal, abseits von den Touristenwegen, betreut der junge Pater 300 bettelarme Familien – oder Menschen mit gewaltigen Problemen. Kranke, die ohne ihn keine Medikamente hätten, immer mehr Familien, in denen die Eltern den Arbeitsplatz verloren haben, junge Leute, die aus Verzweiflung oder Perspektivlosigkeit Drogen nehmen, Familien, die aus ihren Häusern oder Wohnungen auf die Straße gesetzt werden, weil sie keine Mieten oder die Raten nicht mehr zahlen können. Gesperrte Strom- und Wasserleitungen…..weil nicht bezahlt. Keine Lebensmittel mehr. Hunger. Hunger mitten in Europa. In einem Ferien-„Paradies“. Und immer wieder Alkohol. Alkohol. Danach oft schneller Sex. Dann drohende Abtreibung, Fehlgeburt oder behindertes Kind nach der Geburt. „Pater Marcos Pinto kämpft gegen 1000 Teufel“………sagt eine ehrenamtliche Gemeindeschwester, die dem jungen Pater bei seiner schweren Arbeit hilft.

 

Als Pilot hätte der junge Geistliche weniger Sorgen gehabt. Er ist intelligent, ein ungewöhnlich gut aussehender Mann, eine Seele von Mensch – und – trotz der vielen Sorgen – voller Humor und Optimismus. Lachend sagt er mir: „Ich habe tagelang gebetet, daß mir Gott Hilfe schickt…..und dann kommen Sie aus Deutschland und fragen mich, ob ich Hilfe brauche.“

 

Dann gehe ich mit dem Pater zu seinen „Sorgenkindern“.

 

Familie mit drei Kindern. Papa José Valerio (34) hat seinen Job als Busfahrer verloren. Schluß mit den Raten fürs auf Kredit gekaufte Haus. Jetzt wohnt Valerio mit seiner Frau Carla Christina (36) und seinen drei Töchtern – Anna Francisca (1), Maria Margarida (6) und Mara Valeria (12) in einer umgebauten Garage. Ein Foto dort lehnt die Familie strikt ab. „Keiner soll sehen, daß wir eigentlich Bettler geworden sind“.

 

Nur mit Hilfe des jungen Priesters gelingt es mir, die Familie in einen Supermarkt zu schleppen, in dem ich sie Lebensmittel für vier Wochen einkaufen lasse. „Die Abtragungen für das Haus……….da können wir nichthelfen“…….sagt Pater Marcos Pinto. „Ich kämpfe aber dafür, daß der Vater wieder einen Arbeitsplatz bekommt, damit er finanziell auf eigenen Füßen stehen kann.“

 

Noch am selben Tag fahre ich in ein Spielwaren-Geschäft und kaufe den drei Kindern zwei riesige Kuschel-Teddybären und für die Kleinste ein Plüsch-Mammut.

 

Schlimmer noch das Schicksal einer anderen Familie, die der Geistliche betreut. Ana Bela Ferreira de Nobrega – 44 Jahre alt. Zwei Kinderbrachte sie zur Welt. Beide schwerstbehindert mit Gehirnschaden. Roberto Micael ist neun, der Jüngere – Milton-Daniel – gerade 7 geworden. Nach der Geburt des zweiten behinderten Sohnes lief der Ehemann davon, ließ Mutter und Kinder allein zurück. „Die Kinder müßten in ein Heim“…..sagen Nachbarn. Das lehnt die Mutter ab. „So lange ich auf dieser Welt bin, kämpfe ich für meine Söhne“………sagt sie. Aber der Kampf ist schwer. Die Kinder müssen rund um die Uhr beaufsichtigt werden, brüllen und toben den ganzen Tag herum, verrichten ihr „Geschäft“ unkontrolliert und reißen alles in der Wohnung um, was nicht vor ihnen in Sicherheit gebracht wird. Würde Pater Marcos Pinto nicht mit Medikamenten und Lebensmitteln helfen………..die Mutter müßte die Kinder ins Heimgeben.

 

Drei Tage arbeite ich mit in der Kirchengemeinde des Priesters, mit dem ich mich inzwischen angefreundet habe.

 

Dann unterzeichnen wir einen Hilfsvertrag: Die Aktion Reiskorn e.V. hilft dem jungen Priester bei seiner extrem schweren Arbeit mit monatlich 500 Euro – und kauft zusätzlich für die „Not-Küche“ der Kirche einen großen, großen Berg von Lebensmitteln.

 

Pater Marcos Pinto: „Ich danke den guten Menschen in Deutschland, die an uns gedacht haben. Ich glaube, daß meine Gebete um Hilfe von oben erhört worden sind.“